Dr. Stephan Mokry, Referent für theologische Erwachsenenbildung, fragt sich, ob die Gesellschaft in Bezug auf die nötige Umkehr beim Klimaschutz an Prokastination leidet und wie wir endlich selbstkritisch werden, umkehren und den Beitrag, den wir leisten können, sowie dessen Vorbildfunktion für andere ernst nehmen. Jetzt handeln!
Prokrastination… Ein Wort, in dem die Vorsilbe „Pro“ enthalten ist – das klingt positiv, oder? Es ist doch immer besser, für, anstatt gegen etwas zu sein. Wahrscheinlich kennen Sie das Wort oder den Horizont, in dem es benutzt wird: Es geht dann meist ums Aufschieben, Nicht-tun-wollen, Vertagen. Macht man sich zur Wortbedeutung schlauer, wird schnell klar: bei Prokrastination (Erklärung hier nachlesen) handelt es sich um eine pathologische, also krankhafte Störung. Betroffene Menschen unterbrechen notwendige Arbeiten unnötigerweise, und obwohl es Gelegenheiten gibt, das eigentlich Erforderliche zu tun, und man dazu auch befähigt ist, macht man es einfach nicht oder am Ende zu spät.
Verfolgt man die Debatte rund um die Notwendigkeit des Klimaschutzes der vergangenen Jahre, oder gar Jahrzehnte, dann scheint die Menschheit prokrastinativ zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass wider besseres Wissen nichts oder zu wenig passiert, um den Klimawandel sinnvoll abzubremsen, und man in Kauf nimmt, wesentliche Entscheidungen möglicherweise zu spät zu treffen? Zugegeben, Prokrastination als eine pathologische Störung auf unsere Situation anzuwenden, ist gewagt und wahrscheinlich nicht ganz sachgemäß. Aber die Parallelen machen mich nachdenklich.
Ich jedenfalls will mich nicht damit abfinden, dass wir derzeit kraftlos so wenig gegen den Klimawandel und seine ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen tun. „Aber ich mache doch was, ändere mein Konsumverhalten, handle nachhaltiger in meinem Leben – wenn die da oben nicht mehr tun, was kann ich dafür?“ So heißt es oft. Und wie oft heißt es umgekehrt von oben: „Aber wir machen doch was, schreiben Gesetze und schließen Klima-Abkommen. Aber wenn unsere Bürger:innen nicht mitmachen und uns bei der nächsten Wahl abstrafen oder die anderen Staaten nur auf sich schauen, was können wir denn dafür?“
Mir fällt da ein Jesus-Wort ein: das vom Splitter, den man im Auge des anderen sieht, aber den Balken in den eigenen Augen nicht (Mt 7,3-4). Auf diese Weise droht ein Patt, wenn jede Seite auf ihrer Position verharrt. So verwundert der direkt anschließende Bibelvers nicht, der die jesuanische Option aufzeigt: „Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.“ Wenig schmeichelhaft und schonungslos direkt deckt Jesus das Grundproblem auf. Zugleich liefert er die Lösung: Sei selbstkritisch, erkenne Deine Fehler – und fang neu an! Helfe dann den anderen, ebenso umzukehren und wieder in die richtige Richtung zu sehen!
Wem das zu biblisch ist, sei auf unser Resilienz-Säulen-Projekt aus der Fastenzeit verwiesen, in dem gezeigt wurde, wie man Krisen meistert.
Für mich birgt die Krise trotz aller Bedrohung daher auch eine Chance: die Welt mitzugestalten. Eigene Fehler im Kleinen zu verändern, Balken oder Splitter aus den eigenen Augen entfernen. Und damit Vorbild sein für andere. Ja, ich kann durch ein nachhaltiges Konsumverhalten Markt- und Produktionsgeschehen beeinflussen. Ja, ich kann mich in Parteien und Organisationen in Gemeinschaft für den Klimaschutz und gegen eine Ausbeutung von Natur und Umwelt engagieren. Ja, ich kann den Mut haben, der Politik bei Wahlen deutlich zu machen, wohin der Weg mittel- und langfristig weitergehen soll. – Ist da zuviel „Ich“ zu hören? Ja und Nein. Denn das „Wir“, sei es ein Staat oder die ganze Menschheit, besteht aus einzelnen „Ichs“. Und wer an den Schalthebeln der Macht sitzt und hier Strukturen verändern könnte, um die vielen „Ichs“ in die richtige Richtung zu bewegen, ist selbst zunächst ein „Ich“, ein sittliches handelndes Subjekt, wie die Moraltheologie sagt. Und dieses „Ich“ muss sich auch entscheiden, ob und was es tun will und kann gegen den Klimawandel, die Fakten liegen auf dem Tisch.
Sicher, die nötigen Veränderungen erfordern hier und da mehr Aufwand oder Beschränkung, gehen auch an die Substanz. Sozialethisch gesprochen haben wir es mit komplexen Entscheidungen zu tun, die ein Bündel an beabsichtigten wie unbeabsichtigten Folgen nach sich ziehen, die negativ und positiv und eben bisweilen nicht 100% vorhersehbar sind. Das muss kommuniziert werden, um Enttäuschungen vorzubeugen. Doch darf das nicht entmutigen, muss vielmehr dazu führen, sich gründlich zu informieren, intensiv zu diskutieren, breite Partizipation anzuzielen und, so gut es geht, eine Güterabwägung vorzunehmen. Kein leichtes Unterfangen, um bestmöglich ans Ziel zu kommen. Aber Jesus hat auch nicht gesagt, dass es ganz einfach ist und ohne Schmerzen geht, einen Balken aus dem Auge zu ziehen.
Ihr Stephan Mokry