Koloniale Strukturen haben bis heute Spuren in Theologie und Kirche hinterlassen. Um dem Traum von einer Kirche für alle näherzukommen und Rassismus entschieden zu begegnen, müssen wir uns dieser Vergangenheit selbstkritisch stellen. Reflexionen von Dr. Claudia Pfrang.
Es ist eine Erinnerung aus meiner Kindheit. Etwas, das sehr weit in den Krippen katholischer Kirchen verbreitet war: Das Schwarze Kind, das den Kopf nickte, wenn man ein Geldstück hineinwarf – ein Zeichen von Unterwürfigkeit. Ein Zeichen von Rassismus innerhalb der Kirche, den ich leider nicht nur in meinen Kindertagen erlebte.
Bei vielen Reisen zu Freundinnen und Freunden im globalen Süden, bei denen ich u. a. auch als Dolmetscherin für Mitreisende aus Gemeinden und Verbänden der katholischen Kirche tätig war, habe ich mehrfach demütigende Situationen erlebt. Situationen, die für mich so beschämend waren, dass ich die gesagten Worte als Dolmetscherin so nicht übersetzte. Und was noch schlimmer war: Sie waren den Mitreisenden oft gar nicht bewusst, waren sie doch in das andere Land gekommen, um Gutes zu bringen – oft in Form einer Summe an Geld, von der sie am besten wussten, wie sie verwendet werden sollte. Leider war ich vor über 25 Jahren noch nicht in der Lage, diese Form von Neokolonialismus und Rassismus zu thematisieren, auch wenn es dringend an der Zeit gewesen wäre.
Die grundlegende These des Postkolonialismus lautet, dass die Beziehungen zwischen dem globalen Norden und globalen Süden durch die gemeinsame Kolonialgeschichte unhintergehbar geprägt sind. Koloniale Strukturen haben bis heute Spuren hinterlassen: Zum Beispiel in Literatur und Wirtschaft, aber auch in Theologie und Kirchen. Sie wirken bis heute fort durch politische, wirtschaftliche und finanzielle Asymmetrien und Abhängigkeiten.
Kolonialismus ist damit mitnichten beendet, er lebt nur in einem anderen Gewand weiter. So ist auch manche Spendenpraxis in den Kirchengemeinden zu hinterfragen. Wer Projekte fördert, kann als Geldgeber:in die Förderung an bestimmte Bedingungen und Ziele knüpfen. Aus der Perspektive des Gegenübers kann das bevormundend sein, denn die Förderbedingungen wurden nicht gemeinsam erarbeitet oder ausgehandelt.
Unter weiß und Schwarz sind keine realen Hautfarben oder biologischen Eigenschaften zu verstehen. Die Begriffe beschreiben vielmehr eine politische Konstruktion der Vorherrschaft oder Benachteiligung und werden in diesem Text daher kursiv und klein (weiß) oder groß (Schwarz) geschrieben.
Das betrifft auch die Theologie, die weitgehend eurozentrisch geprägt ist und häufig das europäische Denken zum Maßstab theologischen Denkens und kirchlichen Handelns macht(e). Doch das Problem liegt noch tiefer. Stefan Silber, der eine Einführung in postkoloniale Theologien geschrieben hat, analysiert: „[…] im Kolonialismus diente die Theologie unter anderem der Legitimation von Eroberung, Unterwerfung und Ausbeutung, indem diese zur unvermeidlichen Begleiterscheinung der Christianisierung oder sogar zu ihrer unumgänglichen Voraussetzung erklärt wurden. Umgekehrt hielt auch eurozentrisches und rassistisches Denken Einzug in viele theologische Disziplinen und prägt sie bis heute.“
Er verweist dabei auf den Begründer der deutschsprachigen Missionswissenschaft Joseph Schmidlin, der schon vor über 100 Jahren formulierte: „Die Mission ist es, die unsere Kolonien geistig erobert und innerlich assimiliert […] die seelische Unterwürfigkeit und Anhänglichkeit der Eingeborenen bringt die Mission zustande.“ Nicht zuletzt prägten Forschungsreisende und Missionare durch ihre Traktate und Berichte das Bild der Kolonien.
Stefan Silber plädiert dafür, dass sich die Theologie dieser Vergangenheit stellt, die Perspektive wechselt und bereit ist, sich am Prozess der Entkolonisierung und Befreiung zu beteiligen. Dazu braucht es einen breiten, internationalen Lernprozess mit ökumenischer und interdisziplinärer Offenheit. Diese betrifft genauso die kirchlichen Missions- und Hilfswerke.
Stefan Silber, der selbst als Gastprofessor für Postkoloniale Theologien und Theologie der Befreiung an der Universidad Centroamericana José Simeón Cañas in El Salvador und an der Universidad Católica Boliviana in Cochabamba lehrte, ist einer der wenigen Theolog:innen, die diese Lernprozesse befördern.
Das Christentum steht für die unbedingte Gleichheit der Menschen. Jede und jeder ist Ebenbild Gottes. Wie gehen wir in unseren Kirchen mit Diversität um? Kirchengemeinden sind ein Spiegelbild der Gesellschaft und so macht auch Rassismus nicht vor der Kirchentüre halt. Wer und was prägt unsere Gemeinden, unsere Pastoral, unsere Verkündigung? Mit welcher Haltung und mit welchen Vorannahmen begegnen wir Menschen, deren äußeres Erscheinungsbild und/oder ethnische Zugehörigkeit wir als „anders“ markieren? Ein Blick in die Kinderbibeln unserer Zeit zeigen Jesus und biblische Figuren als weiß, obwohl biblische Figuren in der Regel People of Color waren. Wie ist Jesus weiß geworden?
Die traurige Realität ist, dass wir oft vom Ideal entfernt sind, dass sich Menschen jeder Hautfarbe, Herkunft und Zuschreibung in der Kirche willkommen und angenommen fühlen. Auch migrantische Katholik:innen berichten von Diskriminierung und sind in den ortskirchlichen Strukturen nicht angemessen vertreten. Ein erster Schritt hin zum Traum von einer Kirche für alle ist ein selbstkritisches Erkennen, dass unsere deutsche Kirche eine Kirche der Privilegierten, eine Kirche der Weißen ist.
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Text: Dr. Claudia Pfrang
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