In einer Welt, die von Krieg, Polarisierung und Angst geprägt ist, erinnern uns die Worte des neuen Papstes – „Der Friede sei mit euch allen“ – an die Pfingstbotschaft: eine göttliche Kraft, die Mut macht, verbindet und zum Handeln befähigt. Diese Geistkraft, die damals die Jünger Jesu beflügelte, wird heute dringender gebraucht denn je. Sie ruft Christ:innen auf, Brücken zu bauen, für Frieden einzustehen und trotz aller Dunkelheit Hoffnung zu bewahren. Angesichts aktueller Bedrohungen liegt in dieser spirituellen Kraft ein Auftrag: sich einzusetzen – im Alltag, im Kleinen wie im Großen – für Verständigung, Würde und Gerechtigkeit.
„Der Friede sei mit euch allen“ – mit diesen Worten präsentierte sich der neue Papst gleich nach seiner Wahl erstmalig der Öffentlichkeit, es war seine erste Botschaft an die Welt. Dies sind nicht irgendwelche Worte, sondern die Worte des auferstandenen Jesus an seine Jünger: Sie sollen sich nicht fürchten, sie sollen in die Welt gehen und seine Worte verkünden. Lange hatten sie nicht den Mut dazu, doch dann - plötzlich - gingen sie los. Das ist das Ereignis, das wir an Pfingsten als Geburtsstunde der Kirche feiern. Eine Kraft durchdrang sie, jede:r konnte sie in der eigenen Sprache verstehen und von da an verbreitete sich die Kunde von Jesu Wirken, seinem Tod und seiner Auferstehung.
„Dies ist der Friede des auferstandenen Christus, ein unbewaffneter und entwaffnender Friede, demütig und beharrlich. Er kommt von Gott, dem Gott, der uns alle bedingungslos liebt.“ So Papst Leo XIV. weiter in seiner ersten Ansprache auf der Loggia des Petersdoms. Ein Friede, der in unserer Welt heute entfernter denn je erscheint. Und doch ist es gerade jetzt wichtig, dass es Brückenbauer gibt, die - Hoffnung wider alle Hoffnung - sich für den Frieden einsetzen. Schon gleich nach seiner Wahl hat sich der Papst als Brückenbauer zwischen der Ukraine und Russland angeboten. Hier zeigt sich, wie der Historiker Volker Reinhardt in seiner 2017 vorgelegten Geschichte des Papsttums betonte, die veränderte Rolle des Papstes als moralische und überparteiliche Instanz. Aber ist es nicht viel mehr, liegt dieser Auftrag des Brückenbauens nicht in der Geburtsstunde der Kirche und ist damit auch ein Auftrag an alle Christ:innen?
Eine Aufgabe, die wichtiger denn je ist - steht doch derzeit die Frage wie ein großer Elefant im Raum: Ist ein sich in Europa ausdehnender Krieg noch zu verhindern? Ist 2025 vielleicht der letzte unbeschwerte Sommer, wie ich erst vor kurzem las? Müssen wir uns auf einen Krieg vorbereiten? Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, so die ZEIT, sagte, Russland sei 2029 zu einem »großmaßstäblichen Krieg in der Lage« und auch SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius wird zitiert mit den Worten: »Bis 2029 müssen wir kriegstüchtig sein.« Es scheint, als komme der Krieg näher, als wir das in Europa 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs für möglich gehalten hätten. Ein unbewaffneter Friede – nicht in Sicht.
Oh mein Gott
diese Kriege
diese Polarisierungen
diese Verwundungen
lähmen mich
Oh mein Gott
woher die Kraft nehmen
wo Mut schöpfen
Brücken zu bauen
damit Menschen einander respektieren
und sich an der Buntheit freuen
Oh mein Gott
schicke mir Kraft und Mut
deine Geistkraft
Angesichts dieser Szenarien kann uns der Beginn der Ausbreitung des Christentums, wie sie in der Pfingstgeschichte festgehalten ist, aufrütteln: Wer, wenn nicht wir Christ:innen, die der Menschenwürde des:der Einzelnen zutiefst verpflichtet sind, sollten immer wieder alle Kräfte zusammennehmen und uns für Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Welt einsetzen? Jede:r an dem Platz, an den er:sie gestellt ist. Wer, wenn nicht wir sollten versuchen, die unterschiedlichen „Sprachen“ der Menschen zu verstehen und gegenseitig zur Verständigung beizutragen? Dies beginnt in der Familie, am Arbeitsplatz, im Verein, in dem ich aktiv bin. In einer Welt der zunehmenden Polarisierungen –- wie auch jüngst die Präsidentschaftswahlen in Polen dokumentieren – braucht es Menschen, die nicht in einem einseitigen Schwarz-Weiß-Denken verharren, sondern die vielen Grautöne und weit darüber hinaus die Buntheit und Schönheit der Kulturen und des Lebens sichtbar machen. Wie schön wäre es doch, wenn wir uns wie beim Sprachenwunder an Pfingsten alle verstehen könnten.
Ja, so mag man einwenden, das klingt gut und ist doch weit weg von der Realität und so manchen Lebenswelten. Ja, das ist die Aufgabe der Christ:innen, aber was nutzt das? Aber was geschieht, wenn wir das nicht tun? In diesen Tagen vor und nach Pfingsten können wir uns vielleicht daran erinnern, wo uns in unserem Leben bereits Kraft geschenkt wurde, gegen Ungerechtigkeit, gegen Polarisierung, gegen Menschenverachtung aufzustehen. Was oder wer hat mir dazu verholfen? Spüren Sie dieser Kraft nach! Versuchen Sie einen Moment in dieser Kraft zu bleiben. Und zu hoffen wider alle Hoffnung, dass es möglich ist, Menschen zusammenzubringen zu einem ehrlichen Austausch, Menschen, die zerstritten sind, an einen Tisch zu bringen, um miteinander wieder zu sprechen und Lösungen zu finden.
Die Hoffnung auf Frieden bedarf Vertrauen, Gemeinschaft und Risiko: Vertrauen auf einen Gott, der will, dass alle Menschen in Fülle leben und darauf, dass man gemeinsam vieles bewegen kann. Aber auch das Risiko, dass sich vielleicht etwas nicht erfüllt. Aber so gibt es Aussicht, zu einem entwaffenden Frieden finden zu können. Sicher ist: Das verlangt Beharrlichkeit, immer wieder neu den Frieden zu wagen und Demut, die Respekt vor der anderen Person mit all ihren Unterschieden benötigt und sich gleichzeitig mutig auf neue Horizonte einlässt.
Ich wünsche uns viel Geistkraft, die Kraft und Mut gibt, das zu tun, was notwendig ist in diesen kräftezehrenden und gefährlichen Zeiten.
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Dr. Claudia Pfrang