Was, wenn Erschöpfung nicht Schwäche, sondern ein stiller Schrei nach Veränderung ist? In ihrem nachdenklichen Blogbeitrag beleuchtet Dr. Claudia Pfrang die Passionsgeschichte neu – und findet darin berührende Parallelen zur heutigen Zeit. Zwischen kollektiver Müdigkeit und persönlicher Ohnmacht stellt sie die Frage: Wie können wir trotz Krisen hoffnungsvoll bleiben? Ein Impuls zum Aufstehen, Perspektivwechsel und zum Mut, Wandlung zu wagen – vielleicht sogar gerade an Ostern. Ein kleiner Gedanke kann reichen, um einen Stein ins Rollen zu bringen.
Schon so viele Male habe ich die Passionsgeschichte gehört und am Sonntag hat mich ein Satz „getroffen“, den ich noch nie so deutlich wahrgenommen hatte: „Denn sie waren vor Kummer erschöpft“ (Lk 22,45c). Mit diesen Worten beschreibt der Evangelist Lukas den Zustand der wartenden Jünger, in dem Jesus - nach seinem Gebet voller Angst am Ölberg - seine Freunde bei seiner Rückkehr vorfindet. Es ist seitens des Evangelisten kein Wort des Vorwurfs, sondern vielmehr des Verständnisses für die Situation der Jünger. Ermattet von ihren Sorgen und ihrer Trauer schlafen sie.
Vor Kummer erschöpft – so erlebe ich viele Zeitgenoss:innen: ratlos, ohnmächtig und ausgelaugt angesichts all der geopolitischen und gesellschaftlichen Krisen, aber auch derjenigen im eigenen Umfeld. Viele Menschen fallen mir ein, die mir in der letzten Zeit berichteten von ihren Ängsten und Sorgen um die Gegenwart – und erst recht um die Zukunft. Ist unsere Gesellschaft kollektiv müde? Sicher ist: Mit existentiellen Krisen zu leben, kostet Kraft und führt nicht selten zu Erschöpfungszuständen.
Wie können wir mit Krisen so umgehen, dass sie uns nicht auslaugen? Das ist die Dauerfrage. Wir können Krisen nicht vermeiden, doch wir haben einen Einfluss darauf, wie wir mit ihnen umgehen: mit Resignation, Verdrängung, Rückzug, Apathie oder mit dem Mut, sich den Veränderungen zu stellen. Unser Gehirn ist evolutionär darauf ausgerichtet, Gefahren und Verluste eher zu vermeiden. Deshalb fällt es uns oft schwer, neue Wege zu gehen – selbst dann, wenn Veränderung notwendig oder ersehnt ist.
Jesu Appell an die Jünger lautet: „Steht auf und betet.“ Damit ruft er erstens dazu auf, nicht liegen zu bleiben, sondern aufzustehen und aktiv zu werden. Zweitens ermutigt er, nicht alles mit sich selbst auszumachen, sondern die eigene Not auszusprechen. Sich jemandem anzuvertrauen, schafft die Probleme nicht aus dem Weg, aber das Aussprechen der eigenen Sorgen und Nöte führt häufig zu Erleichterung – manchmal unter Tränen. Das lässt mich nicht bei mir selbst verharren und trägt nicht selten zu einem Perspektivwechsel bei, indem es mich neu auf meine Situation blicken und Handlungsoptionen erkennen lässt.
erschöpft vor Kummer darniederliegen
erdrückt von Sorgen und Nöten
keinen Ausweg sehen
aufstehen
Sorgen und Nöte aussprechen
Perspektive wechseln
Mut schöpfen
Wandlung wagen
auferstehen
Papst Franziskus schreibt in seiner vor zehn Jahren veröffentlichten Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato si‘: „Die Hoffnung lädt uns ein, zu erkennen, dass es immer einen Ausweg gibt, dass wir immer den Kurs neu bestimmen können, dass wir immer etwas tun können, um die Probleme zu lösen.“ (LS 61)
Was heißt das konkret für mich? Sicher: Ich kann nicht „am großen Rad drehen“, aber dafür sorgen, dass mich im Kleinen nicht immer alles buchstäblich überwältigt und lahmlegt. Dafür sorgen, dass ich nicht nur auf das, was mich beunruhigt, starre, und mich nicht täglich verliere in Nachrichten, die ich nicht beeinflussen kann und die sich morgen schon wieder überholt haben, sondern ich auf das blicke und das tue, was mir in meiner Lage, an meinem Platz möglich ist. Welche Handlungsoptionen habe ich? Das ist eine Frage, die ich mir immer stellen kann. Aus der Forschung wissen wir außerdem: In bedrohlichen Situationen ist das WIR umso wichtiger. So ist es in unserer äußerst fragilen Welt Not wendender denn je, zusammen mit anderen, die daran glauben, dass sich etwas zum Guten wandeln kann, Wandlung zu wagen. Wer ist an meiner Seite?
Hoffnung ist ein steiniger Weg, aber ein Weg, der die Steine im Weg anpackt. Als Christ:innen sind wir dazu aufgerufen, wie die ersten Zeug:innen der Osterbotschaft davon zu erzählen, dass es immer einen Ausweg gibt. Dass wir von einem Gott begleitet werden, der mit uns durch die Höhen und Tiefen des Lebens unterwegs ist und das Unmögliche möglich macht. Der Steine wegrollt, damit Neues entsteht. Welcher Stein müsste weggerollt werden, damit ein Stein von meinem Herzen fällt, Neues aufbricht und Leben spürbar wird? Wer könnte mir dabei helfen?
Vielleicht kann Ostern, das Fest von Aufbruch und Neuanfang, Sie anregen, immer wieder Wandlung zu wagen. Dabei müssen es nicht die „großen Taten“ sein, manchmal reicht ein kleiner Impuls bei sich oder anderen, damit ein Stein ins Rollen gerät.
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Text: Dr. Claudia Pfrang