Die Weihnachtszeit ist traditionell eine Zeit der Geschichten. Von der Weihnachtsgeschichte selbst bis hin zu Familienerinnerungen – Erzählungen begleiten uns durch diese besinnliche Jahreszeit. Doch warum sind Geschichten eigentlich so wichtig für uns? Und welche Rolle spielen sie in unserem Leben weit über Weihnachten hinaus? Frau Dr. Pfrang lädt Sie ein, gemeinsam auf eine Entdeckungsreise durch die Welt der Erzählungen zu gehen.
Es muss schon überwältigend gewesen sein. Da erscheint ein Engel und überbringt die gute Nachricht, dass jemand sie retten wird. Die Hirten machen sich auf, finden das Kind in der Krippe, kehren zurück und – so steht es bei Lukas – „rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten“ (Lk 2,20). Die Geschichte von Jesu Geburt, eine Geschichte davon, dass Gott den Menschen ganz nahe kommt, er sich den Menschen in Armut und Bedrängnis zeigt, ist eine Geschichte, die sich Christ:innen noch nach über 2000 Jahren erzählen und die offensichtlich bis heute Wirkung hat, denn: Wenigstens an Heilig Abend soll es friedlich zugehen.
Gute Geschichten können wir heute mehr denn je brauchen in einer Zeit, in der Katastrophenberichte überhandnehmen oder noch schlimmer Narrative grassieren, die die Menschen gegeneinander aufbringen, die Angst machen, die im Morgen keine Zukunft mehr sehen, die von Wut und Hass erfüllt sind. Erzählungen, die mutlos werden lassen. Und dennoch: Es gibt sie, die guten Geschichten: Geschichten von Engagement in unserer Gesellschaft und von Solidarität mit den Schwächsten und Ärmsten. Geschichten davon, dass sich Menschen für den Planeten einsetzen.
Besonders inspiriert hat mich das Interview „Wo ist das Leuchtfeuer der Hoffnung?“ mit der 31-jährigen Klimaforscherin Hannah Ritchie, die Unmengen von Daten auswertet und zuletzt ein Buch mit dem Titel „Hoffnung für Verzweifelte“ veröffentlicht hat. Sie sagt: „Die Welt ist heute besser denn je, sie ist immer noch schrecklich, und sie kann weiterhin besser werden.“ Die schlechten Nachrichten, die Aufmerksamkeit auf sich richten, sind meistens, so Ritchie, mit punktuellen Katastrophen verbunden und lassen die langfristigen, meist im Verborgenen geschehenden, jedoch stetigen Entwicklungen in den Hintergrund treten. Diese lassen sich auch mit konkreten Daten belegen. Doch, so unterstreicht sie, Daten allein reichen nicht, um Menschen zur Veränderung zu bringen. Und sie spricht einen wichtigen Satz aus: „Machtvoll werden Daten erst, wenn aus ihnen eine starke gewinnende Erzählung wird.“
Geschichten haben Kraft. Wer erzählt, weckt Vorstellungen, Bilder und Emotionen und öffnet so das Tor zu einer tieferen Schicht der Wirklichkeit. Geschichten können bewegen, verbinden und inspirieren. Sie können Herzklopfen oder Gänsehaut auslösen. Sie ermöglichen, Menschen zusammenzubringen und zu verbinden, Wissen zu teilen, Kommunikation anzuregen, Denkanstöße zu geben und zu Neuem zu ermutigen. Natürlich schaffen wir mit guten Geschichten nicht die schlechten Nachrichten aus der Welt und natürlich dürfen wir die Probleme, Gefahren und Krisen nicht verdrängen. Jedoch brauchen wir immer auch Geschichten, die wie ein „Leuchtfeuer der Hoffnung“ wirken, das ermutigt, nicht am Leben zu verzweifeln und Kraft gibt, nicht aufzuhören, einzutreten für das Leben. Wer nur schlechte Nachrichten hört, kann leicht verbittern oder zynisch werden.
Eine frohe Botschaft macht Runde
erzählt die Geschichte weiter
und sie wird
ein Leuchtfeuer der Hoffnung
ein Segen
der Gutes zuspricht
der Mut macht zum Leben
Claudia Pfrang
Geschichten zu erzählen, ist eine zentrale kulturelle Grundfähigkeit des Menschen. Geschichten haben Denken geformt und Handeln geprägt. Jesus wäre eine Randnotiz der Geschichte, hätten nicht die ersten Christ:innen von seinem Leben und Wirken, von seinen Worten und Wundern erzählt. Die Christ:innen als Erzählgemeinschaft tun gut daran, sich neu auf ihre Wurzeln als Erzählgemeinschaft zu besinnen.
Vielleicht kann Weihnachten ein Anlass sein, sich Zeit zu nehmen, um miteinander unsere guten Geschichten zu teilen und nicht so sehr denen Platz zu geben, die uns mutlos machen, depressiv werden lassen oder das Morgen in düsteren Farben erscheinen lassen. Nein, erzählen wir die Geschichten von den Momenten im Leben, in denen wir miteinander Schönes erlebt haben, in denen wir gemeinsam eine Herausforderung im Leben gemeistert haben, in denen mir etwas Gutes getan wurde und ich erfahren habe: Ich bin nicht alleine.
Zum Geschichten erzählen braucht es immer zwei, diejenige die erzählt, und denjenigen, der zuhört. In unserer Zeit, in der wir ständig auf Empfang sind, fällt es uns oft schwer zuzuhören und sich ganz auf die Person und seine Worte einzulassen. Die gemeinsame Runde an Weihnachten mit Familie und Freund:innen kann die Chance sein, ganz bewusst in Verbindung zu gehen und sich Zeit zu nehmen für das Gegenüber. Ohne Handy. Ohne Ablenkung.
Geben wir uns an Weihnachten den Raum und erzählen wir bewusst gute Geschichten, lassen wir uns, wie die Hirten von der guten Nachricht unserer Vormütter und Vorväter im Glauben beschenken: dass es einen Gott gibt, der mit uns in Verbindung gegangen ist und mit uns unterwegs ist durch alle Höhen und Tiefen. Lassen wir die Geschichte der Weihnacht Kraft entfalten, indem wir davon erzählen, was wir Gutes in unseren Leben erfahren und weitergegeben haben. Ich bin mir sicher, es wird sich einiges finden.
Von Herzen wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest, ein Fest, in dem Sie Gutes zusagen und sich zusprechen lassen. Ein Fest, das Ihnen Mut und Schwung gibt für alle Tage des neuen Jahres.
Ihre Claudia Pfrang