„Es ist die Kunst, die uns aus dieser Welt heraushebt und uns zu Menschen macht." Dessen war sich bereits Friedrich Schiller in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ sicher. Dennoch sind es gerade die Künste, die nicht selten einem Rationalisierungsprozess zum Opfer fallen – insbesondere in Krisenzeiten. Dabei zeigen gerade krisenhafte Situationen, welche Bedeutung die Künste für die Menschen haben, wie auch unser Interview-Film zur "Kraft der Künste" verdeutlicht.
Eine der größten Krisen der letzten Jahre war die Covid-19 Pandemie, die zeitweise mehr oder weniger die ganze Welt zum Stillstand brachte. Als kaum menschlicher Kontakt möglich war, waren es die Künstler:innen und die Künste, die vielen Menschen Halt gaben:
„Wir haben den Lockdown überlebt, weil wir uns Lieder angehört haben. Weil wir Geschichten gelesen haben, weil wir Fernsehen gekuckt haben und uns dort jemand Geschichten erzählt hat. Weil wir miteinander durch Kunst überlebt haben“, so die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke im Podcast „Hotel Matze“. Für sie ist klar: Die Künste verwandeln die Schwere der menschlichen Existenz in Töne, in Bilder oder Texte und geben so den Menschen Mittel an die Hand, sich damit auseinanderzusetzen.
In der Begegnung mit den Künsten machen wir ästhetische Erfahrungen, die uns dazu bringen können, die Welt um uns herum und uns selbst auf neue und aufregende Weise zu betrachten. Dabei entdecken wir mitunter neue Aspekte von Dingen und Ideen, die uns zuvor nicht aufgefallen sind. „Eine wesentliche Funktion von Kunst besteht demnach darin, traditionelle Wahrnehmungs- und Denkweisen aufzubrechen. Das Gewohnte wird in Frage gestellt, das Vertraute wird fremd gemacht, Irritationen sollen zu einer Umstrukturierung der Wahrnehmung und des Denkens führen“, schreibt Ursula Brandstätter. Gleichzeitig haben die Künste aber auch eine affirmierende, also eine bestätigende Kraft. Will heißen: Ich erkenne mich in den Worten eines:einer anderen wieder, meine Emotionen finden Ausdruck in einem Bild ... Ästhetische Erfahrungen finden also in einem Spannungsfeld zwischen Differenz und Affirmation statt und entwickeln dabei das Potential einer transformierenden Kraft.
Für die meisten Menschen sind die Künste in der ein oder anderen Form ein essenzieller Bestandteil ihres Lebens: Fast jeder Mensch kennt zumindest ein Buch, einen Song, ein Bild, einen Film, das oder der für ihn eine ganz besondere Bedeutung hat. Manchmal stößt ein Kunstwerk gar eine weitreichende Veränderung im Leben an: Beim Erleben der Kunst wird uns auf einmal etwas klar, es öffnet sich eine Tür und wir wissen, was für uns nächste Schritte sein können.
Ästhetische Erfahrungen können eine transformative Wirkung haben, indem sie unser Denken und Fühlen erweitern und uns dazu bringen, die Welt auf neue und tiefere Weise zu sehen und zu verstehen.
Wir wollen diese persönlichen „Kunst“-Momente heben und haben dazu vier Personen aus ganz unterschiedlichen Kontexten befragt. Daraus entstanden ist ein Interview-Film, in dem die Gäste von ihren Erfahrungen mit den Künsten berichten. Sie sprechen über Kunstwerke, die sie in besonderer Weise berührt haben und darüber, was diese Begegnung über den Moment hinaus mit ihnen gemacht hat.
Wir haben für einen Interview-Film mit Menschen gesprochen, die uns von einer ganz persönlichen – besonders emotionalen, sinnstiftenden, Orientierung gebenden oder auch existenziell erschütternden – Begegnung mit Kunst erzählen. Das Video lädt dazu ein, darüber nachzudenken, welche Kunst-Momente für Sie selbst besonders bedeutsam und prägend waren. Mit dabei sind:
So erzählt der Politikwissenschaftler Scherief Ukkeh beispielsweise von einer für ihn wegweisenden Begegnung mit Rilkes „Briefe an einen jungen Dichter“: „Das war für mich wie ein Offenbarungserlebnis. Ein paar Sachen, die er da gesagt hat und wie er es geschrieben hat, waren, als ob er mir auf meine eigenen Nöte eine Antwort gibt.“
Was alle Gesprächspartner:innen verbindet, ist die Erfahrung, dass die Künste ihre Welt bewegen und sie tief berühren. Stefan Weigand spricht dabei allerdings auch von der Widerständigkeit der Künste und davon, dass sie sich dem Einflussgebiet des Menschen entziehen: „Wenn ein Kunstwerk mir gerade nichts sagen kann oder ich dabei nichts empfinde, dann ist das so.“ Gleichzeitig interveniere Kunst – so Weigand – auch dann, wenn wir es eigentlich gar nicht möchten: „Ich war mit den Kindern unterwegs, wir wollten Eis essen – und ich bleib da stehen an dem Kunstwerk, der Galerie, und gehe rein.“
Für Ärztin und Psychotherapeutin Dr. Lena Adams liegt in den Künsten die besondere Fähigkeit, über Worte hinaus eine Verbindung zu erschaffen. Dies stellt sie auch regelmäßig im Kontakt mit ihren Patient:innen fest: „Mit vielen Patienten, die sich schwer tun zu reden, kann ich gemeinsam ein Bild anschauen. Wir treffen uns dabei in einem Raum, wo sich was verbindet, ohne dass wir das explizit sagen müssen.“
Gerade diese verbindende Kraft ist es auch, welche die Kunstpädagogin und Künstlerin Margareta Simm fasziniert und inspiriert. In ihrem eigenen künstlerischen und kunstpädagogischen Schaffen versteht sie die Kunst als „Soziale Plastik“. Den Begriff prägte der Künstler Joseph Beuys Ende der 1960er Jahre. Beuys beschränkt die Kunst nicht auf ein abgeschlossenes Kunstwerk oder materiell fassbares Artefakt, sondern bezieht die Menschen mit ihrem kreativen Denken und Handeln mit ein. Im Sinne dieses erweiterten Kunstbegriffs ist für Beuys „jeder Mensch ein Künstler“, der durch Sprache und kreatives Handeln sich selbst und die Gesellschaft verändert und formt. In diesem Verständnis von Kunst kommt dem gemeinsamen Gestalten eine besondere Bedeutung zu: Wir werden zum Denken und Handeln angeregt und das Kunstwerk vollendet sich erst in der Interaktion mit den Menschen.
Die Gespräche zeigen einmal mehr: Kunst kann uns dazu inspirieren, uns mit anderen Menschen und der Welt um uns herum zu verbinden und uns ein tieferes Verständnis für uns selbst und unsere Umgebung vermitteln.
Dazu möchten wir uns vertiefend mit Ihnen und den Gesprächspartner:innen aus dem Film unterhalten. Bei der Online-Veranstaltung „Die Kraft der Künste“ am 20. April holen wir diese gemeinsam aufs virtuelle Podium und freuen uns dabei auch auf Fragen, Anregungen und persönliche Kunst-Momente aus dem Publikum.
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Text: Magdalena Falkenhahn
Was ist Ihr ganz persönlicher Kunst-Moment, der Sie berührt hat, irritiert hat – etwas in Bewegung gebracht hat? Wir wollen mit den Impulsgeber:innen und allen Interessierten vertiefend ins Gespräch kommen und freuen uns auf Ihre Fragen, Anregungen und – wenn Sie mögen – Ihre persönlichen Kunst-Momente.