Biografiearbeit ermöglicht den Blick auf das eigene Leben. Was habe ich erlebt? Welche schwierigen Situationen habe ich überstanden? Welche Kräfte habe ich daraus gezogen? Im Interview spricht Bildungsreferentin Monika Heilmeier-Schmittner über den großen Erfolg der Biografiearbeit.
DA Magazin: Frau Heilmeier-Schmittner, Sie sind seit vielen Jahren aufs Engste verbunden mit der Biografiearbeit in der Domberg-Akademie. Was ist Biografiearbeit?
Heilmeier-Schmittner: Biografiearbeit ermöglicht den Blick auf das eigene Leben in drei Dimensionen. Ich schaue in meine Vergangenheit und frage, was ich geschafft habe, was mir gelungen ist. So kann ich Ressourcen für die Gestaltung der Gegenwart entdecken und Ideen für mein Leben in der Zukunft finden. Biografiearbeit findet immer in diesem Dreiklang statt mit dem eigenen Leben als Quelle.
DA Magazin: Seit wann gibt es dieses Angebot?
Heilmeier-Schmittner: Im Kardinal-Döpfner-Haus ist das vor meiner Zeit entstanden als Ergebnis einer großen Tagung im Jahr 1999 mit dem Titel Nicht mehr sicher, aber frei. Diese Tagung hat Phänomen aufgegriffen, das uns heutzutage mehr denn je betrifft: Das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit wird ja gerade in der Corona-Zeit wieder intensiv politisch diskutiert. Schon damals stellte man fest, dass es immer weniger Gewissheiten im Leben gibt. Letztlich bleibt dann – und das ist aus meiner Sicht hoch politisch und aktuell – das eigene Leben als das, was ich immer bei mir habe, dem ich mich nähere und das ich weiter gestalten kann. Mit verschiedenen Methoden kann ich mein Leben immer wieder als Schatz entdecken. Es ist wie eine Schatzsuche, das ist ein gutes Synonym für Biografiearbeit.
DA Magazin: An wen richtet sich Biografiearbeit? Für wen ist sie besonders gut geeignet?
Heilmeier-Schmittner: Wirklich für alle! Ich denke zum Beispiel an eine Pastoralreferentin, die mit ihren Viertklässlern in der Schule vor dem Schulübergang eine wunderbare Biografiearbeit gemacht hat. Dabei entdeckten die Schüler:innen, was sie so in ihrem Rucksack haben und wie sie damit den nächsten Schritt gehen. Fantastisch!
Und am anderen Ende des Altersspektrums fällt mir eine Teilnehmerin aus Wien ein, die in einem Stift für hochbetagte Damen mit fast Hundertjährigen gearbeitet hat. Die schauen natürlich ganz anders auf das Leben und konnten auch noch im hohen Alter Perspektiven für das Hier und Jetzt und die nächsten Wochen, Monate, Jahre gewinnen.
Biografiearbeit findet in allen Lebensphasen und Lebensbereichen statt: in der Gemeinde, in der Schule oder einfach so.
DA Magazin: Sie befähigen also Menschen, vor Ort Biografiearbeit anzubieten?
Heilmeier-Schmittner: Das ist ein Schwerpunkt. Die Domberg-Akademie ist ja eine zentrale Einrichtung der Erwachsenenbildung in der Erzdiözese München und Freising, und mit unserem Angebot an Aus- und Fortbildungen unterstützen wir die dezentrale Biografiearbeit in den Landkreisen, den Kreisbildungswerken.
Ein zweiter Schwerpunkt sind Special-Interest-Angebote in der Biografiearbeit. Für ein Schreibseminar in einer Pfarrei würden sich wahrscheinlich kaum zwölf Leute finden.
Ein dritter wichtiger Aspekt: In der Biografiearbeit gibt es Themen, bei denen die Teilnehmer:innen nur ungern etwas privat von sich geben, wenn sie möglicherweise am nächsten Morgen mit anderen Kursbesucher:innen wieder in derselben Schlange beim Bäcker stehen. Das heißt: Wir haben auch Angebote, bei denen etwas Abstand von zu Hause gut ist.
16 Jahre und vier Monate war Monika Heilmeier- Schmittner (63) Referentin für Persönlichkeits- und Familienbildung – in einer Einrichtung der Erwachsenenbildung, die sich gewandelt hat: vom Kardinal-Döpfner-Haus zur Stiftung Bildungszentrum bis zur Domberg-Akademie. In diesem Jahr wechselt sie in die Freistellungsphase der Altersteilzeit.
DA Magazin: Wie genau vermittelt die Domberg-Akademie Biografiearbeit? Welche Angebote gibt es da?
Heilmeier-Schmittner: Zum einen bieten wir Aus- und Fortbildungen zum biografischen Arbeiten. Dabei verbinden wir Haupt- und Ehrenamtliche, weil wir glauben, dass sie voneinander profitieren können. Das unterscheidet uns von anderen Anbietern. Darüber hinaus gibt es alle zwei Jahre die Fachtagung Forum Biografiearbeit mit besonderen Referent:innen, die man immer schon mal live erleben wollte, und immer kombiniert mit Workshops. Um mit Interessierten in Kontakt zu bleiben, versenden wir einmal im Monat den Infobrief Biografiearbeit an rund 1700 Abonnent:innen. Schließlich organisieren wir viele kleine Workshops: von Biografisch schreiben bis zu Kreativ-Workshops.
DA Magazin: Aber das machen Sie nicht alles alleine?
Heilmeier-Schmittner: Nein! Wir machen das mit dem Verein LebensMutig, einem Netzwerk aus rund 200 Trainer:innen im ganzen deutschsprachigen Raum. Wer bei uns die Ausbildung macht, kann danach Mitglied bei LebensMutig werden.
DA Magazin: Sie beschäftigen sich jetzt rund 20 Jahre mit Biografiearbeit. Was ist heute anders als zu Beginn?
Heilmeier-Schmittner: Die Biografiearbeit hat sich ausdifferenziert. Es gibt heute viel spezifischere Angebote, zum Beispiel für Familien mit Pflege- oder Adoptivkindern. Interessanterweise haben sich die Grundfragen aber nicht verändert: Was habe ich erlebt? Welche schwierigen Situationen habe ich überstanden? Welche Kräfte habe ich daraus gezogen?
DA Magazin: Und wie werden die Angebote zur Biografiearbeit angenommen?
Heilmeier-Schmittner: Biografiearbeit ist bei einer breiteren Öffentlichkeit immer gefragter. Und sie ist selbstverständlicher geworden. Vor 15 Jahren war der Begriff noch vermittlungsbedürftig. Heute gibt es bei vielen Angeboten Wartelisten. Ich habe auch fast täglich Neuanfragen nach dem Infobrief. Im letzten Jahr haben wir über 100 neue Abonnent:innen gewonnen.
DA Magazin: Haben Sie denn schon einmal ein Angebot der Biografiearbeit für sich persönlich wahrgenommen?
Heilmeier-Schmittner: Ja, gerade erst im Oktober habe ich zwei Tage an einem Seminar teilgenommen, bei dem es um den Übergang in die nachberufliche Lebensphase ging. Da habe ich wieder einmal auf der anderen Seite erleben und genießen können, wie hilfreich Biografiearbeit ist und wie wirksam unsere verschiedenen kreativen Methoden sind.
DA Magazin: Und wie zufrieden waren Sie?
Heilmeier-Schmittner: (lacht) Eine der Leiterinnen war eine enge Kollegin von mir, da wusste ich schon, was ich bekomme.
DA Magazin: Was haben Sie da gelernt für sich?
Heilmeier-Schmittner: Wichtig war für mich die Zeitleiste, eine ganz typische Methode in der Biografiearbeit. Da habe ich beruflich markante Highlights notiert und hatte das gute Gefühl, dass ich meinen Erntekorb fülle. Die eine oder andere Idee, die im Laufe der Zeit entstanden ist und hintangestellt wurde, ist mir wieder
bewusst geworden, und die könnte ich jetzt aktivieren.
DA Magazin: In diesem Jahr beginnt für Sie die nachberufliche Lebensphase: Was erhoffen Sie sich für Ihre persönliche Biografie?
Heilmeier-Schmittner: Worauf ich mich wirklich freue: Ich glaube, ich werde ein Stück Zeitwohlstand haben. Ich werde sicher nie aufhören zu lernen, das zieht sich
wie ein roter Faden durch mein Leben. Und das ist ja das Schöne als Erwachsenenbildnerin, dass man selbst am meisten dabei lernt. Dieses Geben und Nehmen ist toll, und damit werde ich nicht aufhören. Ich habe schon ein paar Anfragen als Referentin gerade im Bereich der Biografiearbeit. Da gibt es ja keinen Grund, das nicht zu machen, nur weil ich 63 Jahre alt bin.
DA Magazin: Und mit welchem Gefühl beginnen Sie Ihr Leben nach der Domberg-Akademie?
Heilmeier-Schmittner: Ich glaube, mein Hauptgefühl wird Dankbarkeit sein. Ich habe bis zuletzt ja viel gearbeitet, viele Kurse organisiert und geleitet. Ich empfinde es als Privileg, mit voller Arbeitsfreude aufhören zu können.
Interview: André Lorenz
Dieser Beitrag erschien im DA-Magazin Ausgabe 1-2022.
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